Büchertauschregale sind irgendwie was Schönes

…und eine etwas ungewöhnliche Faszination von mir, nicht zuletzt wegen meiner etwas eigenen Angewohnheit, Bücher, welche ich auf der Straße finde, zum nächstgelegenen Büchertauschregal zu schleppen. Wenn man sich ein bisschen umschaut, findet man die eigentlich an jeder Ecke. In Einkaufszentren, Markthallen, in Seitengassen, Hauskellern, in Hamburg auch im Bus. Die in meinem Viertel kann ich mittlerweile auswendig; Besuche sind regelmäßig. Liegengelassene Bücher findet man übrigens häufig an denselben Orten!

Keine Ahnung, wann das eigentlich angefangen hat – vor ein paar Jahren aus einem Impuls heraus, schätze ich mal. Die Idee war einfach, einem Buch ein Zuhause zu geben. In Hamburg regnet es bekanntlich viel und das ist nicht das beste Klima für Papier. In dem Sinne: Vielleicht packt es nochmal jemand ein, sonst wäre es schade drum.

Büchertauschregale sind ein bisschen wie literarische Waisenhäuser, was ein Vergleich ist, den man nicht zu weit tragen sollte, da es ansonsten morbide wird. Ich gebe mein Kind ab, du deins – vielleicht schnappen wir uns ja das des anderen, hussa! Meins ist ein bisschen traurig, ich hätte mal Lust auf was Spannendes, vielleicht sogar Blutrünstiges. Wie heißt denn der Kleine? Ach, Dracula! Was ein exotischer Name – toll, wirklich. Na ja, viel Spaß mit Bibel. Ihr versteht schon.

Büchertauschregale sind auch ein bisschen wie Kassenbänder: Wenn man sich die Einkäufe der Person vor einem in der Schlange ansieht, kann man ziemlich viel über den Menschen dahinter erfahren.
Drei Dosen Monster Energy, verschiedenste Chipstüten, sehr viele Tiefkühlpizzen – da hat ein 14-Jähriger sturmfrei.
Einmal Oatly-Hafermilch, Wirsing, veganer Aufschnitt von Rügenwalder, sehr viel Streukäse und Putengeschnetzeltes im Angebot – das ist ein Millennial. Irgendeiner.

Eine Pulle Rotwein, zwei Milka-Tafeln, die neue (?) Chris de Burgh-CD und ‘ne Packung Kondome – das ist Stefan, Jahrgang 1976, der sich heute auf einen richtig schönen Abend mit der Regina freut. Sind keine Kondome auf dem Kassenband, dann ist das Regina, die Stefan (welcher sie heute versetzt hat) gar nicht braucht und dann eben OHNE ihn Der Teufel trägt Prada guckt. Ich glaube, das Prinzip ist klar.

Büchertauschregale sind so ähnlich. Ich entsinne mich gut an die Mutter einer ehemaligen Freundin, welche glaubte einen Tauschpartner bei solch einem Regal gefunden zu haben, da die vorzufindenden Bücher immer mehr ihrem Geschmack entsprachen und sie ein besseres Gefühl dafür entwickelte, welche Bücher sie denn ablegen müsse – und mit jedem Buch das sie fand oder ablegte, bildete sich in ihrem Kopf ein etwas klareres Bild davon, was für ein Mensch das wohl sein könnte. Zwei Leute, die einander nie getroffen haben, sich nicht einmal kannten und doch überlegten, wie man der jeweils anderen Person eine Freude bereiten könnte. Einer meiner liebsten Anekdoten aller Zeiten, so einfach sie auch sein mag. Bringt mich jedes Mal zum Grinsen.

Wie auch Einkäufe, sagen die abgelegten Bücher also etwas über die Person dahinter aus und lassen ein gewisses Bild zu. In meinem lokalen Büchertauschregal etwa hinterlässt meiner Vermutung nach dieselbe Person viele englischsprachige Klassiker in deutscher Ausgabe – eine (in meinem Kopfkino) Frau mittleren Alters, die spätabends auf ihrem Sofa mit leichtem Lampenlicht die Brönte-Schwestern, Emily Dickens, Ralph Waldo Emerson und dergleichen liest, im Hintergrund läuft Wuthering Heights von Kate Bush. Die Meditation zum Abend.

Oder der (wie ich schätze) Typ, welcher Das Erfolgsbuch ablegte und How To Be A Better Person – ich verurteile ihn für diese Buchauswahl im Übrigen nur ein bisschen! Zum Abendessen gibt es Hähnchen mit Reis und bevor er sich mit dem Joe Rogan Podcast im Hintergrund um 22 Uhr schlafen legt, blättert er noch ein bisschen in 12 Rules For Life von Jordan Peterson oder Elon Musk von Ashlee Vance rum. Er muss morgen früh raus, um diese Zeit ist das Gym am leersten.

Und dann gibt es natürlich noch die Flaneure. Die gesichtslose Masse, welche immer mal wieder einen sporadischen Blick ins Büchertauschregal riskiert und sich zwischendurch sagt: Irgendwie sähe dieses Buch in meinem Regal besser aus. Ein neues Zuhause. Wenn man das oft genug macht und ab und an einen Blick aufs eigene Regal wirft, denkt der Flaneur sich eventuell: Irgendwie sähe dieses Buch in einem anderen Regal besser aus – und man lässt kurzzeitig los und hat auf einmal ein Gesicht für irgendwen da draußen, der einen doch gar nicht kennt.

Also ja, Büchertauschregale sind irgendwie was Schönes, denn Bücher sind zum Lesen da und das hoffentlich mehr als nur einmal. Manchmal erzählen sie Geschichten über die eigenen Seiten hinaus – und häufig haben zwei Menschen, die dasselbe Buch gelesen haben, eine unausgesprochene, bizarre Verbindung zueinander.
Büchertauschregale sind obendrein ein schönes Wort und hiermit vielleicht etwas präsenter, denn sie sind auch das erste Thema, über welches ich schreibe, nach einem zweimonatigen, depressionsbedingten Hiatus. Komisch ist das schon.

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